Transkript: Wölfe (220)
Transcript: omega tau 220 – Wölfe
Die zweite Station meiner omega tour Österreich war das Wolf Science Center in Ernstbrunn, wo ich mit Kurt Kotrschal über seine Forschung an handaufgezogenen Wölfen gesprochen habe. Das Sozialverhalten und die Intelligenz der Tiere waren dabei wichtige Themen. Außerdem haben wir, wie schon in Episode 64, über den Unterschied zwischen Wölfen und Hunden gesprochen. Anschließend konnte ich noch einen kurzen Blick auf die aktuellen Wolfswelpen erhaschen und erleben, wie ausgewachsene Wölfe Kurt Kotschal begrüßt haben, als er in ihr Gehege ging.
[00:01:59] | Ja, Kurt Kotrschal, ich bin Professor für Verhaltensbiologie an der Uni Wien und leite seit 1990 die Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau und von dort aus haben wir, also Zsófia Virányi, Friederike Range und ich das Wolfsforschungszentrum gegründet, das dann 2008 hierher nach Ernstbrunn im zentralen Weinviertel übersiedelte, also etwa 40 Kilometer nördlich von Wien. |
[00:02:30] | Konrad Lorenz, für die Hörer, denen das nichts sagt, war ein sehr bekannter Verhaltensforscher. |
[00:02:36] | Konrad Lorenz war ein Nobelpreisträger für Medizin, einer der wenigen österreichischen Nobelpreisträger, hat 1973 gemeinsam mit Niko Tinbergen und Karl von Frisch den Nobelpreis bekommen für seine Theorieentwicklung zur Erklärung des Verhaltens von Menschen und anderen Tieren. So würde man es heute sagen, also von Tier- und Menschverhalten. Sozusagen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde immer noch sauber getrennt zwischen Humanpsychologie, also Psychologie an Menschen und Psychologie an Tieren oder Verhaltensbiologie an Tieren. Das macht man eigentlich heute nicht mehr wirklich, nachdem wir heute seit gar nicht allzu langer Zeit wirklich sehr gute Daten dafür haben, dass wir ein nahezu identisches Gehirn mit unseren Hunden, Pferden, aber auch mit den Raben etwa teilen, besonders im sozialen Bereich. Das heißt, biologische Forschung der letzten 20 Jahre hat dazu geführt, dass der Graben zwischen Mensch und Tier viel weniger tief geworden ist. |
[00:03:44] | Und Sie beschäftigen sich mit Wölfen. Warum machen Sie diesen Vergleich zu Hunden? |
[00:03:52] | Naja… Menschen laufen schon seit sehr langer Zeit mit irgendwelchen anderen Tieren herum. Also Menschen sind eine ganz seltsame Tierart, denen offenbar die Beziehung zu anderen Tieren, nicht nur die soziale, sondern allgemein Beziehung auf allen möglichen Ebenen zu anderen Tieren, sehr am Herzen liegt. Nicht nur, um sie zu essen. Das heißt, Menschen sind biophil, wie Edward Wilson das genannt hat. Also wir haben ein nahezu instinktives Interesse an den Dingen der Natur und an Tieren. Und das könnte mit dazu beigetragen haben, dass unsere Vorfahren, die vor etwa 40.000 Jahren in Mitteleuropa oder in Europa und in Zentralasien einwanderten, also Homo sapiens, dass die ein besonderes Interesse am Wolf entwickelten oder umgekehrt. Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass die erste Trennung der Gene zwischen Wölfen und Hunden vor etwa 35.000 Jahren im Bereich von Europa bis ins heutige Zentralasien erfolgte. Und das ist natürlich eine ewig lange Zeit. Das heißt, seit dieser Zeit leben Menschen mit zunächst Wölfen, dann mit Hunden und alle Entwicklungen von Menschenkulturen erfolgten unter Anwesenheit des Hundes. Das heißt, Hunde sind nicht nur unsere besten Freunde, sondern eine nahezu unvermeidliche Zutat für alle menschlichen Gesellschaften. Dass Hunde heute keine Wölfe mehr sind, liegt in ihrer Anpassung an den Menschen. Also die hatten ja 35.000 Jahre Zeit, obwohl die Domestikationsgeschichte dann schon noch komplexer ist. Das heißt, unsere Vergleiche hier im Wolfsforschungszentrum, wie sich Hunde jetzt von Wölfen unterscheiden, bilden sozusagen eine Gussform dafür, um zu erkennen, wie Menschen eigentlich sind, weil Hunde sind an ein Zusammenleben mit Menschen angepasste Wölfe. Also die Eigenart der Hunde hält uns ziemlich exakt den Spiegel vor das Gesicht. |
[00:06:16] | Ah okay, der Unterschied zwischen Hund und Wolf zeigt… |
[00:06:22] | Also wir sind an Wölfen per se interessiert, weil sie ziemlich intelligente, sozial hoch komplexe Laufjäger sind und sich damit in der Lebensweise in etwa mit dem Menschen decken. Also wir haben nahezu identische ökologische Nischen und ticken, was soziale Orientierung betrifft, auch ganz ähnlich. Das heißt, Wölfe sind per se als Wolf für uns interessant. Wie organisieren sie ihre Zusammenarbeit? Wie denken sie? Sie sind aber auch als Modell für die biologische Basis der Kooperationsbereitschaft von Menschen interessant und zwar wesentlich spannender, in vieler Beziehung, als die uns viel näher verwandten Schimpansen. Dann klarerweise stellen wir die Frage: Wie unterscheiden sich Hunde von Wölfen? Auch sozusagen, weil wir uns für Hunde per se interessieren, aber auch, weil dieser Unterschied natürlich ein sehr starkes Schlaglicht auf Menschen wirft, also wie wir selber sind. Und weil, das vergessen Anthropologen und auch Kulturwissenschaftler sehr oft, dass Menschen ohne Hunde… Es gibt keine Menschen ohne Hunde seit circa 35.000 Jahren, das heißt sie sind eine konstante Zutat für menschliche Gesellschaften, sind ein Teil der Conditio Humana. |
[00:07:53] | Gilt das für alle menschlichen Gesellschaften auf allen Kontinenten? |
[00:07:55] | Das gilt für alle. Das gilt in der Zwischenzeit für alle menschlichen Gesellschaften, das heißt, man kann Menschen nicht denken oder erklären, wenn man auf die Tierbeziehung vergisst beziehungsweise, wenn man nicht speziell die Hunde mitdenkt. Das heißt nicht, dass die Hunde in allen Gesellschaften furchtbar wichtig gewesen wären. Sie hatten in vielen Gesellschaften spirituelle Funktionen. Sie helfen bei der Jagd. Sie waren knapp nach dem Sesshaftwerden schon integraler Teil der menschlichen Heere, bis heute. Die Amerikaner hatten etwa 1800 Kombathunde in Afghanistan, das heißt, Kooperation im Krieg ist eine ganz wichtige Geschichte. Aber in manchen Gesellschaften sind Hunde schlicht und einfach vorhanden. Sie säubern die Straßen dort, wo keine Kanalisation vorhanden ist. Straßenhunde vielleicht fangen ein paar Ratten und das war’s dann schon. Das heißt, die Bedeutung von Hunden variiert sehr sehr stark zwischen unterschiedlichen Gesellschaften. Umgekehrt hat jede Gesellschaft sozusagen jene Hunde, die sie braucht und die sie verdient. |
[00:09:02] | Okay. Ich würde gerne nochmal ein bisschen über Grundlagen zum Wolf sprechen. Was ist denn ein Wolf eigentlich? Das ist ein Raubtier, lebt in Rudeln… |
[00:09:12] | Wolf ist vor allem auch ein hoch soziales Tier. Wenn Sie sich als Mensch in den Spiegel schauen, dann sehen Sie eigentlich den Wolf drin. Das ist jetzt nicht böse gemeint, weil Menschen glauben ständig eigentlich, Wölfe sind grausam und blutrünstig und so, hinterhältig. Was unter Umständen alles ein bisschen stimmt, wenn es um die anderen geht. Was Menschen und Wölfe gemeinsam haben: Wir kooperieren innerhalb unserer Gruppen sehr sehr gut und sehr fein abgestimmt, wenn es um die gemeinsame Jagd geht, wenn es um das Teilen von Nahrung geht, um das gemeinsame Aufziehen des Nachwuchses, aber auch beim Bekämpfen der Nachbarn. Also im Yellowstone kommen etwa 70 % oder mehr der Wölfe durch die Nachbarn ums Leben. Bei unseren altsteinzeitlichen Vorfahren, die die Beziehung zum Wolf begannen, schätzt man, dass ungefähr 30 % der Leute durch die Nachbarn getötet wurden. Also man findet schon nahezu unheimliche Parallelen. Und das heißt, Wölfe sind dadurch gekennzeichnet, dass sie… Sie sind heute keine sehr großen Tiere, sie haben irgendwo zwischen 40 und 60 Kilo, die nördlichen Wölfe und jagen gemeinsam. Wenn man nach Nordamerika schaut, jagen sie Bisons und große Wapiti-Hirsche, also Tiere, die sie im Körpergewicht also bei weitem übertreffen. Und wie schaffen sie das? Das schaffen sie durch Kooperation. Überall, wo Wölfe vorkommen, sind sie durch ihre soziale Organisation auch die Top-Predatoren, also mit Ausnahme Mensch gefährdet niemand Wölfe. Sie sind überall die Chefs, was man von Menschen ja nicht behaupten kann. Es werden pro Jahr noch immer tausende Menschen von irgendwelchen Tieren gegessen auf der Welt. Das kann Wölfen nicht passieren. Ja, also wir haben mit Ihnen viel gemeinsam und das ist wahrscheinlich auch der ökologisch rationale Grund, warum Menschen und Wölfe vor, weiß ich nicht, vor 35.000 Jahren zusammen kamen. |
[00:11:21] | Ja, okay. Der Wolf ist ein sehr soziales Wesen, haben Sie schon gesagt, und hat ja viele Strategien auch gefunden sich an seine Umwelt anzupassen. Wahrscheinlich ist da eben dieses sehr komplexe Sozialverhalten ein wesentlicher Teil. |
[00:11:40] | Das stimmt. Die komplexe Organisation der Wölfe dreht sich eigentlich um die Familie. Ein Rudel gründet sich dann, wenn irgendwo ein junges Weibchen und ein junges Männchen, die ihre Rudel verlassen haben und auf Wanderschaft gingen, sich irgendwo treffen und beschließen: Wir gründen eine Familie. Klingt auch in den menschlichen Ohren irgendwie bekannt. Der erste Nachwuchs, den sie großziehen, der bleibt dann zuhause sozusagen und hilft den Eltern wieder weiteren Nachwuchs großzuziehen. Also die Wolfsrudel sind im Wesentlichen Familienclans, was sie eben mit ursprünglichen Menschenclans gemeinsam haben. Und innerhalb der Familie wird natürlich sehr gut kooperiert. Man hält zusammen. |
[00:12:28] | Das heißt, wenn man jetzt irgendwo in der Wildbahn ein Wolfsrudel findet, dann ist das typischerweise sind das quasi die Gründungsmitglieder, ein Männchen und ein Weibchen plus die Kinder aus der ersten Generation? |
[00:12:39] | Erste Generation, zweite Generation, kommt drauf an, wie lange das schon geht. Es kann auch passieren, dass mal ein Elternteil ums Leben kommt und dann übernimmt unter Umständen ein Sohn oder eine Tochter, also bei Wölfen gibt es… Wölfe sind relativ monogam verglichen mit Hunden, also pflegen gewöhnlich die Ehe. Aber sie haben keine absolute Inzestsperre, also wenn es notwendig ist, zeugt auch der Vater mit der Tochter mal Nachwuchs, auch im Freiland. Das geht eine Zeit lang und dann wird das Rudel durch Inzucht dann so geschwächt, dass es ausstirbt. Ganz selten passiert es, dass irgendein Fremder es schafft sich in ein Rudel zu integrieren und dort vielleicht auch noch in der Reproduktion etwas mitzureden hat. Dann geht es natürlich weiter, aber sonst… Diese relativ starre Definition der Wölfe als „Wir-gegen-die-Anderen“ verhindert natürlich auch relativ effizient den Genaustausch und daher laufen Rudel eine Zeit lang und bekommen dann meistens so ein gewisses Inzuchtproblem, bis sie wieder zusammenbrechen oder sie bis sie durch die Nachbarn wieder ausradiert wurden. |
[00:13:56] | Und typischerweise vermehren sich aber auch in den Folgejahren nur die Eltern? Also das Alphamännchen mit dem Alphaweibchen? |
[00:14:02] | Das ist das gewöhnliche Muster bei Wolfsrudeln, dass ausschließlich die Eltern das Reproduktionsmonopol haben. Wenn mal ein anderes Weibchen trächtig wird, dann verschwinden gewöhnlich die Jungen relativ rasch in den ersten Tagen. Das ist aber nicht… Also Wölfe sind sehr plastisch, auch in der sozialen Organisation. Es gibt Bedingungen, wo das nicht so ist, zum Beispiel im Yellowstone, wo Wolfsrudel 30 Tiere bis 40, 45 Tiere enthalten aus… hauptsächlich deswegen, weil sie relativ feindselige Nachbarn haben. Das heißt sozusagen, der Kriegsdruck begünstigt den Zusammenhalt nach innen und unter diesen Bedingungen werfen mehrere Weibchen die Reproduktion an. Also in großen Rudeln vermehren sich mehrere Weibchen. Was die machen, ist einfach Krieger für die Grenze produzieren. Ist im Prinzip ein ähnliches Phänomen, wie man es auch vom Menschen kennt, wo Reproduktionsraten besonders in Krisen und Kriegszeiten relativ hoch sind. |
[00:15:06] | Und wodurch wird dann die Größe eines Rudels begrenzt? Also wenn es mehr Nachkommen gibt, dann wandern die irgendwann ab? |
[00:15:13] | Es ist eine Balance zwischen Ressourcenangebot natürlich, das heißt, ein großes Rudel kann sich nur halten, wenn eine hohe Wilddichte besteht, und wie gefährlich es ist. Das heißt, wenn auch eine hohe Wolfsdichte besteht. Das heißt, wenn viele Rudel parallel auf einem relativ kleinen Gebiet existieren, dann tendieren die Tiere eher zuhause zu bleiben. Wenn die Situation sehr entspannt ist, keine sehr hohen Beutedichten, aber auch kaum Wölfe in der Gegend, dann sind die Rudel wie bei uns in Europa etwa irgendwo zwischen drei und fünf oder sechs und sieben, aber viel größer nicht, weil die Jungen dann regelmäßig abwandern. Also man hat regelmäßig in Österreich auch und auch in Deutschland immer wieder sogenannte einsame Wölfe unterwegs, die mit den einsamen Wölfen aus der… also die eigentlich nichts damit zu tun haben, was man sonst unter einsamen Wölfen meint, sondern das sind dann Dispurser, also es sind Verbreiter, die auf Wanderschaft gehen. |
[00:16:19] | Die suchen sich ein neues Revier. |
[00:16:21] | Und… Ja, die suchen vor allem einen neuen Partner. Und das ist eine riskante Strategie. Das geht meistens in die Hose, sprich: Der überlebt das nicht oder er findet keinen Partner und bleibt alleine. Aber gelegentlich findet man einen Partner und dann geht es los mit einem neuen Rudel. Deutschland hat momentan eine sehr lebhafte Rudelgründungsgeschichte. Da gab es ja vor wenigen Jahren so gut wie keine Rudel oder ein paar in der Lausitz und jetzt hat Deutschland… Die letzte Meldung war 35 oder sogar 40 Rudel in einem breiten Gürtel von der Lausitz bis fast nach Hamburg. Und das ist relativ rasant gegangen, weil man sie dort noch in Ruhe lässt und weil die jungen Tiere, die jungen Wölfe, die mit vielleicht zwei Jahren ihre Rudel verlassen, relativ rasch wieder einen Partner finden. |
[00:17:09] | Wie ist die Wolfsverbreitung in Österreich? |
[00:17:12] | Naja, Österreich ist ein Spezialfall in Mitteleuropa. Wir hatten das beste Wolfshabitat, aber… und wir haben auch immer zwischen drei und fünf Wölfe im Land, aber es kam als einziges Land in Mitteleuropa noch nicht zur Rudelbildung. Man kann sich denken warum. Ich denke, wir sind ein katholisches Land und sobald die Wölfe die Landesgrenze überschritten haben, fahren sie irgendwie in den Himmel auf, also irgendwie so muss das funktionieren. Nein, es ist leider nicht lustig. Wir verlangen von den Asiaten und Afrikanern, dass sie oft unter großen Opfern ihre Elefanten für uns schützen und wir sind nicht fähig, dass wir mit ein paar Wölfen leben. Das ist nahezu lächerlich. Aber Wolfsforschungszentrum, wir beschäftigen uns… Wir haben das natürlich im Auge, aber im Wesentlichen betreiben wir experimentelle Wolfsforschung, also Grundlagenforschung, um herauszufinden: Welche geistigen Leistungen haben Wölfe und Hunde so drauf und wie organisieren sie ihre Kooperation? Und das ist eine ganz wichtige Ergänzung zu den Freilandbeobachtungen. Wir haben sehr sehr komplexe Geschichten, wie sich Rudel verhalten und wie sie mit den anderen kooperieren und Krieg führen. Also das könnte man stundenlang, diese Geschichten erzählen. Die sind aber nicht erfunden, sondern das wurde beobachtet. Die Frage ist: Wie schaffen Wölfe das? Und diese Frage kann man durch Freilandbeobachtungen nicht lösen, sondern die Mechanismen, die da dahinter stecken, die muss man durch… die sollte man experimentell untersuchen und das tun wir. Das heißt, Experiment bedeutet: Wir stellen den Wölfen und den Hunden, die unsere Partnertiere sind, Fragen in einer Art, dass sie Spaß haben die zu beantworten und dass wir wieder aus ihren Antworten, aus ihrem Verhalten oder aber aus ihrem Auswahlverhalten am Computer – auch das gibt es – darauf rückschließen können, was sie geistig so drauf haben. |
[00:19:17] | Vielleicht können wir da gleich konkret einsteigen. Also wir sitzen jetzt hier draußen, wie man hört. Und zwar ist das ein Gehege, da sind auch die Welpen. |
[00:19:26] | Ja, das ist unser Welpenaufzuchtgehege. Das ist eines unserer kleineren Gehege, insgesamt nur 3000 Quadratmeter groß. Gelegentlich leben auch, wenn wir keine Welpen haben, leben zwei oder drei erwachsene Wölfe hier für begrenzte Zeit, weil wir haben eine Reihe von großen Gehegen und auch, damit den Wölfen nicht langweilig wird, wechseln wir alle zwei, drei Monate die Gruppen zwischen den Gehegen durch. |
[00:19:54] | Okay, und wie viele Wolfsgruppen leben hier? |
[00:19:58] | Wir haben jetzt im Moment haben wir zwölf erwachsene Wölfe in vier Gruppen. Also wir haben relativ kleine Gruppen. Ich spreche nicht einmal von Rudeln, weil wir die Wölfe sozusagen nach Nichtverwandtschaft holen. Also wir kriegen aus Würfen maximal zwei Welpen. Erstens, damit Welpen bei der Mutter verbleiben und zweitens, damit wir nicht so viele Gene aus einer Linie hier drin haben. Wir wollen ja Aussagen treffen über Wölfe und nicht nur über bestimmte Linien von Grauwölfen. Das heißt, wir haben sehr viele Wölfe, die nicht miteinander verwandt sind und das schafft ein gewisses Problem, weil es natürlich dazu beiträgt, auch wenn die Tiere miteinander aufwachsen, trägt das dazu bei, dass man sich nicht so gut verträgt als das in der Familiengruppe der Fall wäre. Also Leute glauben ja immer noch, dass Wölfe eine blutrünstige Gesellschaft sind. Dass es einen Leitwolf gibt, der sagt: „Ich bestimme, wo es lang geht. Und wenn ihr nicht pariert, dann beiße ich euch in den Hintern.“ Aber so ist es nicht. Also wenn man… Günther Bloch zum Beispiel und andere, die viel Energie in Freilandbeobachtungen investieren, erzählen uns, dass es so gut wie nie aggressive Handlungen im Rudel gibt. Zwischen den Rudeln durchaus, aber nie im Rudel. Das heißt, das läuft sehr harmonisch und sehr kooperativ ab auch deswegen, weil natürlich der Nachwuchs, die Jungen da sehr wohl sich in ihrem Verhalten nach den Älteren richten, die auch die erfahreneren sind. Es ist für Wolfsrudel überlebenswichtig sich in der Gegend auszukennen, die Anderen zu vermeiden und zu wissen, wo es etwas zu Essen gibt. Und darum ist es eher so eine Emeritengesellschaft sozusagen und keine wirklich… |
[00:22:05] | Gesellschaft des Stärkeren? |
[00:22:06] | Ja und keine Gesellschaft, wo einer sagt: „Ich bin der Chef und jetzt müssen alle sich nach meiner Pfeife richten.“ |
[00:22:14] | Zu diesem Thema „Lernen von den Älteren“ habe ich mir noch eine Frage aufgeschrieben und zwar: Gibt es, ich sage mal, Kulturtechniken bei den Wölfen, dass ein Rudel irgendwas Bestimmtes erlernt hat, das Nachbarrudel das aber schon nicht mehr kann, weil das eben nicht angeboren ist und das dann über die Generationen weiter gegeben wird? |
[00:22:32] | Wir wissen sehr wenig darüber, weil es viel zu wenig genaue Beobachtungen von Rudeln im Freiland gibt. Es gibt ja nur zwei Gebiete auf der Welt, nämlich Yellowstone Nationalpark und das Gebiet um Tschernobyl, wo Wölfe ohne Jagddruck leben und ihre Kulturen wirklich entwickeln können. Überall anders werden sie gejagt, geschossen und das sind natürlich keine guten Voraussetzungen dafür. Aber was man sieht, ist natürlich, dass Wölfe gerade in Nordamerika, Timberwölfe etwa, dass unterschiedliche Rudel oder dass Wölfe in unterschiedlichen Gebieten auf unterschiedliche Beute spezialisiert sind. Die Yellowstone-Wölfe sind Wapiti-Spezialisten und nehmen gelegentlich Bisons, stellen sich dabei aber nicht wahnsinnig geschickt an. Wölfe anderswo sind eher Bison-Spezialisten, weil es dort kaum Wapitis gibt und die jagen die aber viel geschickter. Oder Wölfe können relativ deutlich unterschiedliche Kulturen entwickeln. Es gibt eine bereits einige Jahre alte Untersuchung von Marco Musiani und anderen, die sich das an den nordamerikanischen Wölfen angesehen haben. Da gibt es Wölfe, also ganz ähnlich wie etwa bei Schwertwalen bilden sich zwei unterschiedliche Kulturen heraus. Das sind die sesshaften, territorialen, die im borealen Nadelwald ihre eben Territorien aufbauen, die verteidigen und dort große Tiere jagen. Und dann… Und das sind eher dunkel gefärbte Wölfe oder ganz normal, wie man sich halt einen Wolf vorstellt. Und 30 % dieser Wölfe sind schwarz. Und dann gibt es eine andere Kultur. Das sind die Migranten, also das sind Halbnomaden oder Nomaden. Das sind hellere Wölfe, die den Zügen der Rentiere folgen und die jährlich ungefähr 2500 Kilometer Nord-Süd ziehen mit den Rentieren mit. Also die sind praktisch im Lebensstil schon irgendwo auf dem Weg zu einem Hirtendasein. Die nehmen zwar Tiere da raus, aber sie sind mit ihren Herden sozusagen unterwegs. Und die Lebensstile sind so unterschiedlich, dass auch sozusagen die Einstellung zu den Anderen… Die Einen haben Territorien, die Anderen haben keine Territorien etc.. Dass da große Unterschiede existieren, auch wahrscheinlich im Lautverhalten, dazu gibt es wenig Daten, aber vermutlich sind die territorialen viel kommunikativer, viel heul-aktiver als die, die wandern. Und das hat so weit geführt, dass es nahezu keinen oder keinen Genaustausch mehr gibt zwischen diesen beiden Kulturen und das vermutlich seit circa 10.000 Jahren, also seit dem Ende der letzten Eiszeit, als diese Differenzierung begann. Und das ist schon eine ganz interessante Geschichte, weil das auch wieder eine Parallele zum Menschen ist. Unsere Kulturfähigkeit, auch unsere Symbolversessenheit und Fähigkeit kann man ja auch im ökologischen Zusammenhang sehen, das hilft uns dauerhaft gewisse Lebensräume zu besiedeln. Also etwa ohne Schlittenhundetechnik hätten die Inuit… wären die Inuit nicht fähig, dauerhaft nördlich des Polarkreises zu leben. Daran hängt sich dann eine ganze Reihe von spirituell und kulturell motivierten Gepflogenheiten an, was man jagt, was man nicht jagt, was man isst, was man nicht isst. Und das Ganze steht natürlich in einem engen ökologischen Zusammenhang. Also Menschen sind ganz extreme Kulturtiere, die unter Nutzen der Kultur, ihrer Kulturfähigkeit, neue Lebensräume erobern und dauerhaft besiedeln. Aber bei Wölfen findet man das in Ansätzen auch schon. |
[00:26:31] | Und deswegen ist der eben auch über die ganze Welt verbreitet, der Wolf, ursprünglich? |
[00:26:34] | Auch interessante Parallele, also wenn Sie schauen, welche drei Tierarten auf der Nordhemisphäre weit verbreitet sind, also wirklich buchstäblich von den äquatornahen Wüsten bis weit nördlich des Polarkreises und nahezu alle Lebensräume besiedeln und zwar aufgrund ihres großen Gehirns, ihrer Innovationsfähigkeit, dann sind das neben dem Menschen noch Wölfe und Raben. Das ist jene Trias, die wir eigentlich überall auf der Nordhemisphäre zusammen finden und wenn Sie irgendwo einen Wolfsriss haben, das Erste, was dort auftaucht, sind Raben. Und wenn dort Menschen in der Nähe leben und es gibt genügend Wirbel, dann kommen auch die Menschen gelaufen. Also das war sicher eine alte Beziehung. Wölfe haben sich an menschlichen Jagdbeuten beteiligt, Menschen haben den Wölfen einen Teil ihrer Beute abgenommen und es gibt heute noch im Bialowieza etwa, in einem polnischen Nationalpark, wo eben noch Wölfe, Menschen und Raben gemeinsam vorkommen. Also wenn da am Waldrand ein Hirsch umfällt oder durch Wölfe zu Fall gebracht wird, dann gibt es eine große Gruppe von Raben, die da einen kräftigen Wirbel machen, woraufhin die Leute aus dem nächsten Dorf ihre Schüsseln und Messer packen und dort hinlaufen. Das ist die alte Geschichte. |
[00:27:59] | Okay und wir sind jetzt hier im Welpengehege und hier werden gerade Welpen aufgezogen. Sie haben gesagt, die sind fünf Wochen alt. Gerade haben sie geschlafen, das heißt, gesehen habe ich sie nicht. Und die werden mit der Flasche aufgezogen, also nicht von der Mutter oder den Eltern? |
[00:28:10] | Richtig. Wir wissen heute, dass sich Hunde von Wölfen durch alle möglichen Mutationen unterscheiden. Also genetisch sind Hunde keine Wölfe mehr. Welche Überraschung! Das heißt, wir haben eine Gruppe von Mutationen, die Hirnbildung, Hirnentwicklung betrifft und eine weitere Gruppe, die Verdauung betrifft. Also Menschen und Hunde haben sich parallel zueinander sozusagen über die letzten 10.000 Jahre an eine stärkereichere Nahrung angepasst. Okay. Aber die Geschichte mit dem Gehirn bedingt auch, dass Wolfswelpen eine ganz enge Vorstellung davon haben, wie ihre Sozialisierung auszusehen hat. Das heißt, Wolfswelpen haben noch sehr stark als Muster im Kopf, dass ihre Eltern Wölfe sind. Das haben auch Hunde in der Zwischenzeit nahezu verloren. Also bereits Erik Zimen hat in den 1970er Jahren von der Doppelidentität des Hundes gesprochen, dass sie praktisch mit ihren Artgenossen können, aber genauso gut oder noch besser mit Menschen. Bei Wölfen ist es so, wenn man die Welpen nicht bekommt, bevor sie ihre Augen öffnen mit circa zwölf Tagen, dann entsteht kein Grundvertrauen mehr. Es klappt nicht einmal – und das haben Kollegen in den letzten Jahrzehnten gelegentlich versucht – man kann eine zahme Wölfin ihren Nachwuchs im Wohnzimmer bekommen lassen, das geht bei manchen zahmen Wölfen. Und wenn man sich nicht sonderlich dann um diese Welpen kümmert, sie nicht selber mit der Flasche anzieht, werden die ähnlich scheu wie überhaupt mit Menschen nahe aufgezogene Wölfe. Also um dieses Grundvertrauen zu gewinnen, ziehen wir in der Gruppe eben Welpen ab Tag zwölf mit der Flasche auf. Also in der Gruppe bedeutet, momentan haben wir zwei Welpen. Es kommen demnächst noch drei zurück, also die Gruppe wird dann fünf Welpen umfassen. Das stellt sicher, dass sie in ihrer sexuellen Orientierung intakt bleiben, dass sie nicht glauben, dass sie Menschen sind. Es sorgt aber für dieses unglaublich starke Grundvertrauen, das zwischen Menschen und Wölfen möglich ist und dass wir in unserer Arbeit mit unseren Wolfspartnern täglich erleben. |
[00:30:28] | Okay und die Welpen, die wohnen jetzt hier in einer Art Bau? |
[00:30:32] | Ja, das ist ein großes Gehege und da gibt es einen Platz, wo wir einiges an Baumstämmen übereinander geschmissen haben, weil in diesem Gehege wird gelegentlich in der Nacht auch… Also wir machen so Howl-Nights gelegentlich für Besucher, wo wir Lagerfeuer machen. Und dann haben wir ein paar erwachsene Wölfe in dem Gehege und wir arbeiten in der Nacht im Scheinwerferlicht ein bisschen mit den Wölfen auf den Baumstämmen. Das macht jedem Spaß und hat einen gewissen Gänsehauteffekt auch noch dazu, wenn man den Leuten dann erzählt, wie Menschen und Wölfe zusammen kamen. Und in diesem Gehege ziehen wir unsere Welpen auf, natürlich zunächst ohne erwachsene Wölfe. Die kommen ein bisschen später dann dazu. Und unter diesen Baumstämmen hat Yuka, das ist eines unserer erwachsenen Weibchen einen ziemlich tiefen Bau gegraben und die Welpen haben den vor einigen Tagen entdeckt und finden den super. Wir haben ein eigenes Häuschen hier oben, das ist unser Aufzughäuschen mit ein paar Quadratmetern. Da breiten wir unsere Matratzen aus und da übernachten wir mit den Welpen drin. Aber mit einer Klappe, das heißt, die Welpen können ab einem gewissen Alter dann auch in der Nacht raus, wenn sie wollen, schlafen aber sehr gern dann bei uns auf der Matratze meist im Körperkontakt mit uns, weil Welpen… Was Wolfs- und Hundewelpen mit Menschenkindern teilen, ist ihr Bedürfnis nach sozialer Zuwendung. Wenn sie die kriegen, entwickeln sie jene Sicherheit, die ihnen erlaubt die Welt zu explorieren und wieder selber problemlos positive soziale Beziehungen zu anderen zu knüpfen. Wenn in der Frühbetreuung etwas schief geht, dann haben diese Individuen ein relatives Problem. Das ist bei Menschenkindern so und bei Wolfswelpen besonders, darum machen wir das sehr mit viel Hingabe, würde ich sagen, also mit entsprechender emotionaler Zuwendung. Das ist eine ganz wichtige Geschichte, weil mit satt, sauber, trocken kriegt man keinen vertrauensvollen Wolf. Das geht nicht. |
[00:32:47] | Auch wie bei den Menschen. |
[00:32:47] | Das geht auch bei Kindern nicht. Und da schlafen wir drin und untertags sind sie im Gehege unterwegs, meistens in der Nähe von uns. Und seit sie den Bau entdeckt haben, sind sie da untertags. Sie kommen dann alle paar Stunden mal, wenn sie Hunger haben, kommen sie raus oder wir locken sie gelegentlich mal raus und spielen. So wie auch im Freiland das Rudel mal vorbeikommt und dann krabbeln die Welpen aus dem Bau, so ähnlich klappt das bei uns. Und man wundert sich, wie schnell Wolfswelpen wachsen. Also in zwei Wochen sind die ohnehin so groß, dass sie wahrscheinlich diesen Bau nicht mehr beachten werden und permanent hier draußen sind. |
[00:33:27] | Und das Ziel ist eben, eine vertrauensvolle Beziehung zu denen aufzubauen, um dann später mit ihnen arbeiten zu können und Versuche machen zu können? |
[00:33:37] | Also wir wollen ja wissen, was die geistig so drauf haben. Und wenn wir Tests machen in Richtung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit, wäre es natürlich keine gute Idee, wenn wir Wölfe hätten, die sich vor uns oder vor unseren Versuchsanordnungen fürchten. Also Angst hemmt Denken. Das ist beim Wolf und beim Menschen, bei allen Tieren so. Das ist eine Geschichte und das ist die wichtigste Geschichte. Und damit man das kann, ziehen wir die Wölfe nicht nur per Hand auf, sondern wir machen das in einer sehr sehr sorgsamen Art und Weise. Es gibt kein Dominieren, es gibt keine Verbote. Es gibt nur positive Kooperation. Das heißt, die Wölfchen wachsen in einer sehr wolfsangemessenen Weise in eine kooperative Umgebung rein und dadurch entsteht… Durch die ständige gemeinsame Arbeit, sei es nur man bringt sie zum Platz, oder indem wir Leinenspaziergänge machen etc., entsteht eine sehr vertrauensvolle Beziehung. |
[00:34:41] | Okay, das heißt, die lernen auch so Grundkommandos wie ein Hund? |
[00:34:43] | Richtig, allerdings nicht indem wir sie dominieren, sondern indem wir so etwas wie Leadership ausüben. Es geht mit positiver Belohnung. Am Anfang wird auch viel geklickert. Jene, die sich auskennen, Klickertraining ist eine ganz gute Möglichkeit, um Tieren, um Hunden und anderen Tieren nahezulegen, dass sie in der Arbeit mit Menschen mitdenken sollten. Und das funktioniert sehr gut. Das heißt, wir arbeiten niemals mit Strafe, das heißt wir sagen nie: „Wenn du das nicht machst, dann gibt es entweder schreie ich dich an oder es gibt Liebesentzug.“ Also so nicht, sondern wir motivieren sie positiv und sie machen gern mit. Wir haben das auch experimentell schon genutzt, also wir haben mit Wölfen und Hunden gearbeitet, also standardisierte Trainings gemacht und konnten zeigen, dass eigentlich kaum ein Unterschied besteht zwischen menschensozialisierten Wölfen und Hunden. Das ist eines jener Ergebnisse, von denen wir jetzt eine ganze Serie schon haben, die uns klar darauf schließen lassen, dass die Kooperationsfähigkeit von Hunden mit Menschen nicht erst während der Domestikation entwickelt wurde, sondern ein altes Wolfserbe darstellt. Was beim Hund geschehen ist, die haben sozusagen ihre Kooperationsbereitschaft von Hund-Hund auf Hund-Mensch weitgehend umgepolt. Nicht ganz, aber Hunde sind eindeutig weniger gut im Kooperieren mit anderen Hunden als Wölfe mit anderen Wölfen. Dafür sind Hunde schon bezogener und von Haus aus besser als Wölfe mit uns zu kooperieren. |
[00:36:30] | Hier in manchen Gehegen leben ja auch Hunde auf die gleiche Weise, wie hier auch die Wölfe leben. Die sind aber dann nicht mit der Flasche aufgezogen? |
[00:36:38] | Oh ja. Der Clou des Wolfsforschungszentrums ist, dass wir die einzige Institution der Welt gleichartig aufgezogener Wölfe und Hunde haben. Das heißt, wenn wir unsere Wölfe so aufziehen würden, wie es eben notwendig ist, damit sie Vertrauen entwickeln, unsere Hunde dagegen aufziehen würden wie ganz normale Hunde, also im Wohnzimmer und dann in menschlicher Haltung belassen würden, dann würden wir sozusagen Äpfel mit Birnen vergleichen. Um den Effekt der Haltung und der Frühsozialisierung herauszukriegen und in den Ergebnissen hauptsächlich das zu haben, was in den Genen unterschiedlich ist, müssen wir das standardisieren. Daher haben wir insgesamt 17 Mischlingshunde, die genauso aufgezogen wurden wie unsere Wolfswelpen und die genauso gehalten werden. Natürlich getrennt von den Wölfen, weil Wölfe mit Hunden, die sie nicht kennen, gewöhnlich nicht sehr freundlich umgehen. |
[00:37:48] | Und was machen Sie dann… Oder in welchem Alter fangen Sie dann an, wirklich quasi wissenschaftlich zu arbeiten mit den Welpen? |
[00:37:56] | Ab jetzt. Also diese fünf Wochen alten Welpen stehen schon in diversen Tests, besonders meine Kolleginnen Friederike Range und Zsófia Virányi sind auch an der Entwicklung von Verhalten interessiert und haben schon allerlei wirklich tolle Dinge herausgefunden. Zum Beispiel glaubte man bis vor einigen Jahren, dass Hunde die Zeigegesten von Menschen deuten können, Wölfe aber nicht. |
[00:38:23] | Ja, auf dem Stand bin ich auch noch. |
[00:38:24] | Und das sei in der Domestikation entstanden. Ja, man hat… Also wir haben diese Versuche dann mit etwas älteren Wölfen und Hunden wiederholt. Und wenn die Wölfe älter als neun Monate sind, können sie das genauso gut wie Hunde. Es ist also eine Entwicklungsgeschichte. Wölfe sind in manchen Dingen etwas langsamer und der Faktor dahinter, das sind wieder unsere ungarischen Kollegen, die ein Ergebnis sehr wahrscheinlich machen, dass Hunde von Haus aus sich leichter tun, Blickkontakt mit Menschen zu halten, während bei jungen Wölfen… Junge Wölfe, man hat sehr oft Blickkontakt, aber das ist nicht dauerhaft. Einem Hund schaut man, während man kooperiert, sehr oft in die Augen, Wölfe vermeiden das gerne und entwickeln erst langsam diese Fähigkeit. Und wenn sie das dann haben, dann sind sie genauso gut wie Hunde. Und Wölfe sind von Haus aus besser als Hunde und bleiben immer besser, was Blickfolgen betrifft. Also wenn ich zum Beispiel durch Hinschauen einen Hinweis gebe, dann kann das ein junger Wolf schon ganz gut, dem zu folgen. Ein junger Hund kann das nicht. Und ein älterer Wolf kann das noch besser und ein älterer Hund kann das möglicherweise leidlich, aber sie werden nie besonders gut drin. |
[00:39:44] | Und das ist dann, wenn die eben gleich aufgezogen wurden, eben erwiesen, dass das nicht durch Erziehung oder Lernen kommt, sondern irgendwie genetisch veranlagt ist? |
[00:39:56] | Das kann man nie ganz ausschließen. Die alte Unterscheidung zwischen angeboren und erworben ist ja eigentlich im Mülleimer der Wissenschaftsgeschichte gelandet. Was wir haben, sind Lernbereitschaften und Lernbereitschaften sind genetisch unterlegt. Das heißt, natürlich lernen die Hunde und die Wölfe. Nur, die Hunde lernen früher sozusagen, weil sie eben eine größere Bereitschaft haben, lernen früher auf die Zeigegesten vom Menschen zu reagieren oder diese zu deuten als Wölfe. Wölfe lernen es ein bisschen später. Dafür ist dieses… |
[00:40:31] | Das ist halt eine Frage der Wahrscheinlichkeiten oder der… |
[00:40:35] | Das sind unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten auch. Während sozusagen körperlich und geistig reif sind Hunde und Wölfe beide mit etwa eineinhalb bis zwei Jahren. Da hat man kleine Unterschiede zwischen Hunderassen oder kleine Unterschiede zwischen unterschiedlichen Wölfen, aber da gibt es nicht sehr viele Unterschiede. Aber geschlechtsreif werden zum Beispiel Wölfe viel später. Also da haben wir… Warum sollten wir dann nicht auch Unterschiede in diesen Lernbereitschaften haben? Macht ja auch Sinn, weil Hunde natürlich vom Welpenalter weg beim Menschen leben und daher ist es gut für sie, sich relativ bald darauf einzustellen, mit dem Menschen zu leben. Bei Wölfen ist das nicht so. Wölfe sind nicht dafür gemacht, mit Menschen zu leben sozusagen. Die sind die Basisart für die Domestikation. Und da muss man ein bisschen mehr Aufwand betreiben, dass man Wölfe dazu kriegt, einen als Sozialpartner anzusehen und auch dazu kriegt, dass sie mit einem arbeiten wollen. |
[00:41:45] | Und diese unterschiedlichen Lernbereitschaften, sind die genetisch? |
[00:41:49] | Das ist anzunehmen, ja. Also heute sind wir ein bisschen vorsichtig mit genetisch und nicht genetisch, weil wir wissen, was für einen großen Einfluss Epigenetik hat, also der Lebensstil der Eltern etwa, auch bei Wölfen, hat einen großen Einfluss auf die Ausprägung von Wesen etwa. Bei Hunden natürlich auch. Aber im Wesentlichen, diese Geschichten, die wir da herausgefunden haben, Zeigegesten etc., die sind relativ robust und daher scheinen die typisch Wolf oder typisch Hund zu sein. |
[00:42:23] | Was machen Sie denn noch für Experimente? |
[00:42:25] | Ein ganzes Spektrum. Also meine Kollegin Friederike Range sitzt zum Beispiel dran an Kooperationsexperimenten, wo um eine Plattform ein Seil läuft und wenn beide gleichzeitig am Seil ziehen, dann zieht sich die Plattform zum Zaun heran und die kommen an das Fleisch, was da drauf liegt. Und wenn nur einer zieht, hat er das Seil im Maul. Also das schaffen zum Beispiel, ohne jetzt etwas verraten zu wollen, das ist noch nicht publiziert, aber da sind Wölfe zum Teil spektakulär gut drin und Hunde zum Teil spektakulär schlecht. Wobei wir nicht ganz wissen, woran es liegt, weil Hunde sind ja nicht wirklich viel dümmer als Wölfe, aber Hunde haben ein bisschen eine steilere Dominanzhierarchie im Kopf. Die haben oft bei so einem Versuch ein bisschen ein Problem, weil da ist ein Ranghöherer und der steht in der Nähe des Apparats und der Rangniedere sagt: „Hm, darf ich da jetzt hin?“ Und der Ranghöhere sagt: „Das ist mein Apparat.“ Das sind natürlich schlechte Voraussetzungen, wenn man kooperieren will. |
[00:43:26] | Okay, das heißt, Wölfe haben flachere Hierarchien? |
[00:43:29] | Ja. Also das ist einer der großen Unterschiede. Hunde sind weniger tolerant untereinander und haben steilere Hierarchien im Kopf. Scheint auch eine Eigenschaft zu sein, die im Zusammenleben mit Menschen entwickelt wurde und die mehr über Menschen als über Hunde aussagt. Es war immer sehr wichtig, die letzten paar Tausend Jahre war es immer sehr wichtig, dass sich Hunde sehr stark nach Menschen richteten und bestimmte Dinge beachteten, zum Beispiel die Kleidung, die da hängt oder das Essen am Tisch ist tabu und wenn nicht, ist der Hund tot. Also um es leicht übertrieben zu sagen. Es gab eine sehr starke Selektion auf Obrigkeitshörigkeit bei Hunden und die gibt es bei Wölfen eindeutig nicht. Das ist ein Grund, warum wir mit Wölfen umgehen wie mit rohen Eiern, mit unseren Hunden natürlich auch. Immer sehr respektvoll, nie mit Druck, nie mit Zurechtweisung, sondern immer mit positivem Motivieren. Unter diesen Bedingungen kooperieren Wölfe hervorragend. Hunde wir übrigens auch. |
[00:44:26] | Wie kann man denn noch Details bei so einem Experiment zum Beispiel herausfinden? Also kann man da nur sagen: Wir machen jetzt eine Aufgabe, das ist ja dieses, was man mit vielen Tieren bezüglich Intelligenz macht, so die müssen irgendwie an Futter kommen und es hat eine gewisse Komplexität und schaffen die das oder nicht? Oder es funktioniert halt nur, wenn sie kooperieren. Kann man dann nur im Prinzip sagen: Okay, Wölfe lösen diese Aufgabe in 80 % aller Fälle, Hunde nur in 50 % aller Fälle? Oder kann man auch etwas darüber sagen, wie ein Wolf zum Beispiel das löst? Also geht da der Ranghöhere hin, guckt sich das an, geht dann zu seinem Kumpel und sagt: „Hey, komm mal mit, du musst mir helfen.“ Oder wie funktioniert das? |
[00:45:08] | Natürlich. Wir beobachten in allen diesen Versuchen Verhalten natürlich. Und da muss ich ein zweites Experiment meiner Kollegin Friederike Range kurz schildern, das bereits publiziert ist. Also Hunde wurden darauf trainiert, eine Kiste durch Hebeldruck zu öffnen. Und in dieser Kiste war Fleisch. Und ein Hund hat es mit der Schnauze gemacht und der andere mit der Pfote. Und dann durften die Wölfe beziehungsweise die Hunde zuschauen und dann durften sie selber hin, die Kiste zu öffnen. Damals hatten wir, glaube ich, zehn Wölfe, die groß, alt genug waren das zu machen. Alle zehn Wölfe haben innerhalb von acht Sekunden diese Aufgabe gelöst und acht von zehn beim ersten Versuch. |
[00:45:53] | Nach dem Zuschauen? |
[00:45:54] | Nach dem Zuschauen. Von den Hunden waren es nur ganz wenige und kein Hund hat das so gemacht, wie das Modell ihnen vorgezeigt hat. Das heißt, man kann aus diesen Details ganz eindeutig ablesen oder ableiten, dass Wölfe beim Zuschauen viel genauer lernen als Hunde. Also Hunde, das war sozusagen… Der Platz wurde interessant, weil ein anderer Hund dort etwas gemacht hat. Aber wie die Kiste jetzt durch Hebeldruck aufgeht, hat der Hund nicht kapiert, der Wolf schon. Also das ist aber auch wieder erklärbar. Das ist für Wölfe natürlich wesentlich wichtiger als für Hunde, wenn sie sich etwa auf der Jagd koordinieren müssen, dass man voneinander lernt, dass man schaut: Was macht der Andere? Und dass man sein Verhalten darauf einstellt. Für einen Hund, für den ist es wichtig, dass er sieht, wie der Mensch drauf ist und was der Mensch von ihm will. |
[00:46:51] | Weil er von dem das Futter kriegt? |
[00:46:53] | Futter oder… es sind auf jeden Fall entstandene Abhängigkeiten, das ist nicht erst seit gestern. Oder wir machen Versuche mit… Ich selber mache schon seit Jahren ein Laufband, wir haben Wölfe am Laufband, das größte Laufband der Welt mit zweimal zehn Meter Lauffläche. Wölfe und Hunde, wo es nicht nur darum geht, die Energetik des Laufens, weil die Tiere laufen mit Messgeräten, die den Herzschlag messen und die Herzschlagratenvariabilität. |
[00:47:31] | Also das ist ein Laufband wie im Fitnessstudio, sage ich mal, nur halt größer? Okay. |
[00:47:35] | Und über die Herzschlagrate kann man relativ gut auf den Sauerstoffverbrauch rückschließen. Und das Ziel ist aber sozusagen die soziale Komponente der sozialen Jagd ein bisschen besser sich anzuschauen. Das heißt, wir fragen: Ist es lustiger zu zweit zu laufen? Ist man motivierter zu zweit zu laufen? Ist der Herzschlag geringer beim Laufen? Diese Dinge, die noch nicht einmal Sportwissenschaftler sich angeschaut haben, was ein bisschen überraschend ist, weil Menschen sind soziale Laufjäger genauso wie Wölfe. |
[00:48:07] | Wie stellen Sie denn fest, ob es motivierender ist zu zweit zu laufen? |
[00:48:11] | Wir haben erst ein paar Wölfe und ein paar Hunde auf dem Band getestet. Klappt sehr gut, aber wir haben noch keine Ergebnisse. Wo wir schon Ergebnisse haben, ist, ich habe jahrelang Leinenspaziergangsversuche gemacht, wo man Mensch-Hund und Mensch-Wolf Paare mit der Leine losgeschickt hat und wo wir einfach geschaut haben: Wie entwickeln sich die Leinenführigkeiten im Alter? Also Leinenführigkeit als Kürzel für Kooperationsbereitschaft. Und auch da, wie bei unseren experimentellen Trainings, haben wir gefunden: Es gibt keinen wirklich wesentlichen Unterschied zwischen einem Hund an der Leine und einem Wolf an der Leine, wenn man es richtig macht. Also beide synchronisieren hervorragend mit Menschen. Und wenn es ein bisschen Leinen- oder Entscheidungskonflikte gibt, dann mit jüngeren Hunden und jüngeren Wölfen, aber wenn die einmal erwachsen sind, dann harmonisieren Menschen und Wölfe fast genauso gut wie Menschen und Hunde. Das geht jedenfalls wieder in diese Richtung, dass viele Leute glauben, dass sich diese Kooperationsfähigkeit erst bei den Hunden entwickelt hat. Man akzeptiert, dass Wölfe untereinander gut kooperieren, aber doch nicht mit Menschen. Das stimmt nicht, also wenn die richtig sozialisiert sind, kooperieren die hervorragend mit dem Menschen. Es ist auch ein Stück weit experimentelle Archäologie, die wir da treiben, weil wir durch unsere Erfahrungen und durch die Erfahrungen von anderen Leuten in der Vergangenheit eigentlich ganz gut sagen können, welche Szenarien der Erstannäherung zwischen Wölfen und Menschen sind plausibel und welche können eher nicht funktioniert haben. |
[00:49:53] | Ja, letztendlich habe ich jetzt viele Dinge gehört, wo Sie sagen: Eigentlich ist der Unterschied zwischen Wolf und Hund gar nicht so groß. Vielleicht sollte man da einen Disclaimer noch sagen. Ich weiß nicht, ob Sie das sowieso standardmäßig machen, aber nicht, dass die Leute jetzt auf die Idee kommen, sich einen Wolfswelpen anzuschaffen und den als Hund zu halten. Das geht schief. |
[00:50:17] | Na erstens, es gibt eine ganze Reihe von Mainstream-Domestikationshypothesen, auch etwa von unseren Kollegen in Leipzig, Zsófia Virányi und so weiter, Mike Tomasello. Die gehen von Selektion auf Zahmheit, auf Nettsein aus. Also die Hunde wären die sanfteren, weniger aggressiven Wölfe. Also wir können eindeutig zeigen, dass das falsch ist. Überhaupt, wenn Sie in Domestikationshypothesen reinschauen, dann versucht jeder Kollege bis jetzt, den großen Unterschied zwischen Hund und Wolf zu finden. Und den gibt es in der Form nicht wirklich so, sondern je mehr wir reinschauen, umso mehr kommen wir drauf, dass die Dinge relativ komplexer sind, dass es ein Mosaik von Unterschieden ist, dass man jetzt nicht sagen kann: Das ist der Unterschied. Das ist die Standardfrage: Was ist jetzt der Unterschied zwischen Hund und Wolf? Meine Standardantwort ist gewöhnlich: Begleiten Sie mich zu den Wölfen und dann zu den Hunden und Sie werden sehen. Diese stärkere Bezogenheit von Hunden, diese wesentlich stärkere Arbeitsbereitschaft, dieses auch Herumwuseln. Bei Wölfen hat man immer den Eindruck, dass sie zuerst denken und dann handeln. Und das ist bei Hunden nicht ganz immer so. |
[00:51:37] | Naja, da hat ja der Mensch oft das Denken übernommen. Deswegen müssen die das ja nicht so stark machen. |
[00:51:41] | Und ich muss ehrlich sagen: In meiner Individualgeschichte war das Interesse am Wolf auch ein wichtiger Faktor dafür, dass wir 1978 den ersten Hund hatten, gleichzeitig mit dem ersten Kind übrigens. Etwas verbildet durch die Lektüre von Konrad Lorenz. Es hat sich dann im Zusammenleben mit diesen Hunden herausgestellt, dass nicht alles so ist, wie man es lesen kann, wie man es lesen konnte damals noch. Und so hat sich das Interesse langsam gesteigert und ich kann wirklich verstehen, wenn viele Leute meinen, es sei wahnsinnig interessant mit einem zahmen Wolf zu leben. Das ist es tatsächlich. Allerdings muss ich immer wieder darauf aufmerksam machen, dass die für uns geeigneten Wölfe Hunde heißen. Also in jedem Hund steckt noch genügend Wolf und Hunde sind sehr gut geeignet für unsere Kulturumgebung. Die ruinieren uns unsere Wohnungen nicht, wenn es einigermaßen gut geht. Und die flippen nicht aus, wenn sie auf einer Straße an der Leine geführt werden. Wölfe haben ein völlig anderes Instrumentarium der Wahrnehmung und sind für eine intensive Zivilisationsumgebung eigentlich nicht ausgerüstet. Also auch wenn der Wolf noch so zahm ist, wird er mit einer intensiven Kulturumgebung nicht gut zurecht kommen. Das heißt, es ist ein Tierschutzproblem. Auf der anderen Seite werden Leute, denen hier meistens die tiefere Erfahrung fehlt, mit einem zahmen Wolf nicht zurecht kommen. Wenn man etwa in Kanada lebt, 200 Kilometer im Umkreis ist nichts um die eigene Hütte, dann kann man es versuchen mit einem gut sozialisierten Wolf zu leben. Den kann man frei halten, man kann gemeinsam jagen, aber bei uns in Mitteleuropa… Es ist eine wirkliche Unsitte, dass immer mehr Leute mit High-End-Wolfshybriden herumlaufen, also mit Kreuzungen zwischen einem bisschen Hund und sehr viel amerikanischem Timberwolf. Geht zur Not mit wahnsinnig viel Einsatz, wenn man 14, 15 Jahre nichts Anderes zu tun hat, sieben Tage die Woche 24 Stunden am Tag mit diesem Tier zu leben. Geht aber in den allermeisten Fällen schief und ist auch ein bisschen gefährlich, weil Wölfe sind zwar nicht aggressiver als Hunde, aber sie können rasch in eine Situation kommen, wo sie sich in die Ecke getrieben fühlen oder wo sie sich bedroht fühlen. Und dann treffen sie eigene Entscheidungen und das kann gelegentlich darin liegen, dass sie mal zubeißen. Und das passiert in den Vereinigten Staaten, wo angeblich hunderttausende dieser Wolfshybriden leben, relativ häufig. Es ist also ein Unding. Man tut sich selber keinen Gefallen und dem Tier schon gar nicht, wenn man einen Wolfshybriden oder mit einem zahmen Wolf leben will. Man darf nicht vergessen: Was wir hier machen in Ernstbrunn, bedarf eines großen Aufwandes. Damit wir unsere zwölf Wölfe halten können, mit denen arbeiten können, haben wir insgesamt 50.000 Quadratmeter Gehegeflächen. Wir haben vier Trainerinnen, fünf Trainerinnen beschäftigt. Insgesamt arbeiten dort 20 Leute. Der finanzielle Aufwand im Jahr liegt bei circa 700.000 Euro. Da sind unsere Gehälter, die ja von den Unis bezahlt werden, noch nicht inbegriffen. Nur dass man sich mal eine Vorstellung macht, was für einen Aufwand man treiben muss, damit man ein paar zahme Wölfe einigermaßen, also zahm ist das falsche Wort, ein paar menschensozialisierte Wölfe einigermaßen wolfsgerecht halten kann. |
[00:55:21] | Also die leben hier auch in eben sehr großen Gehegen das ganze Jahr über, haben so kleine Schutzhütten, habe ich gesehen. Die nehmen Sie abends nicht mit in Ihr Wohnzimmer. |
[00:55:29] | Nein, würden sie eigentlich ganz gern tun, aber da müsste das Wohnzimmer anders ausschauen und man müsste seine Ansprüche an das Mobiliar herunterschrauben. Das schaut dann nachher nämlich nicht mehr gut aus. Wölfe sind… trennen sich nicht gern, sind besonders prädestiniert, Einrichtungsgegenstände zu zerstören. Und sie sind von Haus aus sehr neugierig. So ein Wolf will einmal wissen, was in der Couch drinnen ist, während der Hund sehr rasch lernt: Das ist nicht meins. Ein Wolf, solange er das nicht herausgefunden hat, wird er auch keine Ruhe finden. |
[00:56:08] | Und wissen Sie was darüber, oder sicherlich haben Sie Hypothesen: Als wen oder was sieht jetzt ein hier lebender Wolf seine menschlichen Bezugspersonen? Sind Sie der Alphawolf? |
[00:56:20] | Das ist schwer zu sagen. Nein, wir sind sicher nicht der Alphawolf. Wir unterscheiden uns in der Beziehung, die wir zu Wölfen pflegen, sehr stark von vielen anderen. Indem wir unsere Wölfe nie dominieren, weder als Welpen noch als erwachsene Tiere, und sie sozusagen als Partner auf Augenhöhe betrachten, beziehen sie uns in ihre sozialen Hierarchien nicht mit ein. Das heißt, wenn ich jetzt zum Beispiel als Mann einen männlichen Wolfswelpen dominieren würde und immer mit Druck arbeiten würde, wie es viele vor uns getan haben – auch Erik Zimen hat so gearbeitet -, dann… |
[00:57:02] | Fordert der Sie irgendwann heraus. |
[00:57:02] | …eines Tages versucht er, den Spieß umzudrehen und das geht für den Menschen nicht immer gut aus. Also das ist erstens unsicher und zweitens völlig unnötig. Das Interessante ist, dass Wölfe offenbar überhaupt kein Problem damit haben, uns als positive Kooperationspartner zu sehen. Also wenn man das in Ernstbrunn mal gesehen hat, wie wir mit denen arbeiten, beeindruckend verlässliche und ruhige Kooperationspartner mit Lust und Freude bei der Arbeit in den allermeisten Fällen. Wenn er nicht will, dann will er halt nicht. Aber wir kriegen nie einen Knurrer, wir kriegen nie… wir werden auch nicht unterwürfig begrüßt, sondern die begrüßen uns mit Schwanz erhoben, also erhobenen Hauptes sozusagen. Das heißt, die können das ganz offensichtlich irgendwie auseinanderhalten. |
[00:57:58] | Aber das heißt, wenn Sie jetzt in ein Gehege rein gehen, dann kommen die schon? Das ist nicht so, dass die Sie nicht beachten? |
[00:58:04] | Natürlich. Wir haben eine starke Bindung, wir haben diese Tiere aufgezogen und das bedingt aufgrund ähnlicher Gehirnmechanismen wie wir haben, das heißt identisch eigentlich, nicht ähnlicher, bedingt das eine starke Bindung. Und die bleibt lebenslang. Also wir können da jetzt gern einmal rauf gehen zu ein paar Wölfen. Ich war zwar heute schon oben, aber sie werden mich trotzdem wieder begrüßen. Also unsere Studenten haben in der Zwischenzeit das Gehege gereinigt und Leckerlis versteckt. Dann wird mein Aufkreuzen wahrscheinlich weniger beachtet. Aber sonst findet eine sehr nette Begrüßung statt, eine Minute oder zwei und dann geht wieder jeder seiner Wege. |
[00:58:45] | Heißt das, ein Wolf hat auch diesen Will-to-please, von dem man bei Hunden spricht? Also einfach dieses Gefallenwollen? |
[00:58:50] | Nicht unbedingt. Also das haben Hunde wesentlich stärker ausgeprägt. Die meisten unserer Wölfe lieben die meisten von uns. Das kann man so menschlich und aber auch völlig richtig sagen. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie für uns arbeiten, sondern ein Wolf ist viel rationaler. Der sagt: Freut es mich jetzt, freut es mich jetzt nicht? Was kriege ich dafür? Was, du hast kein Leckerli dabei? Na vielleicht heute nicht. Das hat mit der Beziehung wenig zu tun. Übrigens, ein Rest davon ist bei Arbeitshunden auch noch zu finden. Unsere ungarischen Kollegen haben herausgefunden, dass einerseits die Beziehung zum Halter das Verhalten von Hunden in Testsituationen sehr stark beeinflussen kann. Bereits die Anwesenheit des Halters im Raum, wenn der Hund irgendeinen Test macht, bedingt, dass er besser abschneidet. Andererseits hat Bindung, also hat die Qualität der Sozialbeziehung bei der Arbeit, also wenn, was weiß ich, wenn der Arbeitshund halt irgendwen rettet oder so, sehr wenig damit… Das heißt, auch unsere Wölfe schalten in den Arbeitsmodus um und die wollen dann nicht mit uns schmusen. Wenn wir ins Gehege kommen, dann ist Schmusen sofort angesagt. Aber wenn die Wölfe in den Testraum kommen, dann wollen die nicht. Dann wollen die arbeiten, dann haben die im Kopf: Jetzt wird da gearbeitet. Und alles andere wird abgelehnt. Also Beziehung ist wichtig, aber man muss immer schauen, wo und in welchem Kontext. |
[01:00:27] | Okay, haben wir irgendwas Wichtiges vergessen? |
[01:00:30] | Ach Gott, sicher, aber diese ganzen Dinge stehen in wesentlich geraffterer Form in meinem neuen Buch, das am 2. September dieses Jahres bei Brandstätter kommt. Das heißt „Hund & Mensch: Das Geheimnis unserer Seelenverwandtschaft“. |
[01:00:53] | Das könnte mit unserem Veröffentlichungstermin auch einigermaßen hinhauen. |
[01:00:56] | Und da habe ich versucht, das einigermaßen zusammenzuschreiben. Und nachdem es mir ein paar Jahre nicht gefallen hat ein Hundebuch zu schreiben, war ich jetzt ziemlich motiviert, weil in den letzten paar Jahren sind unglaubliche Ergebnisse gekommen, nicht nur was die Entstehungsgeschichte von Hunden betrifft, sondern auch was Mensch-Hund-Beziehungen betrifft. Also es ist nicht nur unsere Gruppe. Unsere Gruppe ist wahnsinnig wichtig, sehr produktiv und hat wirklich entscheidende Dinge beigetragen, aber die Ungarn haben weiter produziert, ein paar Amerikaner, also es gibt momentan eine große Szene, die sich Mensch-Hund-Beziehungen anschaut und da kann man wirklich interessante Sachen… Jetzt kann man so ein Buch mit wesentlich besserem Gewissen schreiben als noch vor fünf Jahren. |
[01:01:43] | Okay, super. |
[01:01:44] | Es wird nie endgültig sein, aber… |
[01:01:47] | Das ist ja das Schöne an der Wissenschaft. |
[01:01:49] | Also die Nebel lichten sich gewaltig. |
[01:01:51] | Ja, wir haben dann da unsere Sachen zusammen gepackt und haben das Welpengehege verlassen. Allerdings nicht ohne vorher nochmal bei den Welpen vorbei zu schauen, bzw. bei diesem unterirdischen Bau, wo die drin geschlafen hatten. Just in dem Moment kamen die dann auch raus und ich konnte noch einen Blick auf die Welpen erhaschen, natürlich nur aus der Ferne, da kann man dann nicht zu nah dran gehen. Aber ich habe einen Eindruck gekriegt, sehr niedlich, sie erinnern entfernt an Schäferhundwelpen. Ihr könnt auch mal auf die Website gucken, da haben wir auch ein Bild. Das habe ich allerdings mit meiner Handykamera durch den Zaun aufgenommen. Aber ihr kriegt einen Eindruck davon. Wir sind dann in ein Nachbargehege gegangen oder zu einem Nachbargehege, besser gesagt. Der Eingang in das Gehege, das ist so eine Schleuse. Also man muss durch zwei Türen gehen, bevor man dann in dem Gehege drin ist. Und wir sind in diese Schleuse rein gegangen und da kamen dann die drei Wölfe, die dort in dem Gehege waren, an und haben Kurt Kotrschal begrüßt. Er hat mir gesagt, ich soll ein bisschen Abstand halten und ich hab dann dort mit meinem Handmikrofon aufgenommen und das ging alles recht schnell. Plötzlich waren wir da drin und die Wölfe waren da und deswegen fehlen irgendwie so die ersten zehn Sekunden der Aufnahme und es ist dann auch so, die Lautstärke schwankt so etwas in der Aufnahme, einfach wegen dem Hin und Her von dem Handmikrofon und weil mein Gesprächspartner ein bisschen weiter weg war. Ich wollte euch das dennoch nicht vorenthalten. Man kann es auch ganz gut verstehen. Nur so ein bisschen als Hinweis. Ich hatte am Anfang die Frage gestellt, wie das jetzt mit der Begrüßung abläuft, bzw. ob die ihn genauso begrüßen, wie Hunde. Und da springen wir jetzt eben mitten in seine Antwort rein. |
[01:03:42] | …ähnlich wie bei Hunden, nur halt nicht so ausufernd. Aber die Yuka ist eine meiner Freundinnen sozusagen. Und die ist schon toll. Die ist jetzt fünf Jahre alt und da gibt es immer große Freude und da kommt man her und lässt sich durchkneten. Das ist so ähnlich wie bei einem Hund. Hautkontakt ist wichtig. |
[01:04:05] | Und das sind amerikanische Wölfe, oder? |
[01:04:07] | Das sind Timberwölfe, ja. |
[01:04:10] | Und das sind auch die, mit denen Sie arbeiten? |
[01:04:14] | Wir haben zwölf Wölfe und wir arbeiten alle mit denen. Also die kommen… Das ist wieder Wombly, der ist ein bisschen zurückhaltend, aber auch sehr nett. Wir arbeiten… Mit allen denen kann man mindestens einmal in der Woche an der Leine raus auf einen ausführlichen Spaziergang. Das dient eher der Belustigung der Wölfe und wir nehmen da auch Besucher mit. Und sonst ist es Teil unseres Haltungskonzepts auch, dass die Wölfe fast jeden Tag mal raus kommen für zehn Minuten, für 20 Minuten, in irgendein Programm. Mitarbeiten, am berührungsempfindlichen Bildschirm, also am Touchscreen arbeiten, einen Test mitmachen, also geistig gefordert werden und zum Teil am Laufband dann ein paar Minuten traben, was sie körperlich nicht wirklich belastet, aber was durchaus eine Abwechslung ist. Also es geht bei diesen Wölfen… Man merkt es deutlich, solange wir hier aktiv sind im Bereich des Testhauses, sind die Wölfe zwar gelegentlich in den ganzen 8000 Quadratmetern dieses großen Geheges unterwegs, aber sobald sie merken, da tut sich irgendwas Interessantes, stehen sie sofort wieder da und schauen: Können wir mitmachen? Was passiert da? Wir haben hier auch ein Schleusensystem gebaut im Anschluss an diese Großgehege, wo eine Zugbrücke den Eingang ins Testgebäude erlaubt. Das schaut ein bisschen martialisch aus, diese Laufgitter wie früher im Zirkus. Das ist aber nicht deswegen, weil unsere Wölfe gefährlich wären, sondern damit wir sie sehr rasch aus dem Gehege in den Testraum und wieder zurück bringen. Also wenn wir zum Beispiel fünf, sechs, zehn Tiere an einem Vormittag testen wollen, dann kommt es schon darauf an und dann ist es ein bisschen umständlich jedem Wolf zuerst das Halsband anzulegen, rauszugehen, dort wieder reinzugehen. So können wir es durchshuttlen und die Wölfe sind das gewohnt und sie hören auf ihren Namen. Und sie wissen im Prinzip schon, worum es geht. Also die sind kluge Tiere, die sehr rasch Routinen entwickeln. |
[01:06:33] | Und haben die sich jetzt bei der Begrüßung irgendwie anders verhalten, weil ich dabei war? Oder merken Sie da keinen Unterschied? |
[01:06:39] | Sie wurden bereits ausgeblendet. Das sind auch Wölfe, die Besucher durchaus gewöhnt sind. Jetzt sind sie übrigens nicht mehr da, nicht weil sie uns nicht für interessant halten, sondern ihr Gehege wurde gerade gereinigt. Und wenn die Leute dann draußen sind nach der Gehegereinigung, also kurz nach der Gehegereinigung werden Leckerbissen verteilt im ganzen großen Gehege und zwar zum Teil halb am Baum oben und in irgendwelchen Erdlöchern. Und die sausen dann durch das Gehege und suchen das. Die wissen das natürlich und sind jetzt eine Stunde oder zwei damit beschäftigt, alle diese versteckten Leckerbissen zu finden. Also Sie waren weder positiv noch negativ besetzt im Moment. Wir nehmen immer wieder Leute auch ins Gehege mit rein, in unsere kleinen Rudel. Erstens, damit unsere Wölfe im Geiste offen bleiben, was ganz gut funktioniert, weil sie müssen ja auch mit Studenten und mit Trainern und mit Kollegen arbeiten, die kommen, wenn diese Wölfe schon erwachsen sind. Und zweitens, ja, weil es, wie gesagt… Leute sind auch manchmal daran interessiert und der Effekt ist, dass unsere auch bis zu sieben Jahre alten Wölfe recht interessiert sind an Fremden, freundlich sind zu Fremden, also durchaus nicht respektlos oder so, nicht hochspringen. Und wenn man sich dann eine Viertelstunde gegenseitig berochen hat, dann gehen die Wölfe wieder ihres Weges und wir holen die Leute wieder aus dem Gehege. |
[01:08:18] | Okay, und ihr Hund läuft hier in der Nähe auch rum. Das ist auch kein Problem? |
[01:08:24] | Das ist Bolita, das ist eine Eurasia-Hündin. Die hat alle zwölf Wölfe und alle 17 Hunde mit aufgezogen. Also das heißt, die ist mit allen sozialisiert und das kann unter Umständen ein ziemlicher Vorteil sein, weil die Beziehung zwischen diesem Hund und allen Wölfen ist noch sehr gut. Die begleitet uns zum Teil auf den Spaziergängen. Wenn ein Wolf mal sich vor irgendwas fürchtet, beruhigt die, also wir haben unsere Privathunde beim Handaufziehen, also beim Aufziehen der Wölfe dabei. Und sobald die Wölfe sechs Wochen ungefähr alt sind, beginnen wir damit, die erwachsenen Wölfe rüber zu holen. Nicht alle auf einmal, sondern einer nach dem anderen, damit sich die Welpen und die erwachsenen Wölfe sozusagen sozialisieren können. Und das klappt immer sehr gut. Die Welpen sind sowieso begeistert von erwachsenen Wölfen und die Erwachsenen, besonders wenn es um Weibchen geht, also Wolfsweibchen sind ausgesprochen begeistert von den Welpen. |
[01:09:25] | Also das funktioniert dann auch, obwohl das nicht die eigene Familie ist? |
[01:09:27] | Richtig. Also das ist ebenfalls ein gewisser Unterschied zwischen Hunden und Wölfen. Hunde können begeistert sein von fremden Welpen, müssen es aber nicht. Und manche Hunde sind auch ausgesprochen gefährlich zu fremden Welpen. Wölfe in der Regel sind immer begeistert. Also darum macht es eigentlich kein großes Problem, wenn man schon langsam sozialisiert und wenn dann die Jungwölfe sechs Monate alt sind, sieben Monate alt sind, dass man die einfach in die Rudel dazu setzt. Die werden sehr gut akzeptiert, werden nahezu adoptiert. Da müssen im Gegenteil dann die Mitglieder, die älteren Mitglieder des Rudels aufpassen, wenn diese Jungspunde ein Jahr oder älter werden, dass sie nicht dann das Ruder übernehmen. Das ist bei uns auch schon passiert. |
[01:10:12] | Okay. Gut, dann sind wir durch? Alles klar, dann sage ich ganz herzlichen Dank! |
[01:10:18] | Danke fürs Kommen und danke, dass Sie so ein gutes Wetter mitgebracht haben. |
[01:10:22] | Gerne. Tschüs! |